Die Rahmenbedingungen für den europäischen Immobilienmarkt waren in den letzten Monaten teilweise sehr herausfordernd. Vor diesem Hintergrund hat sich die Philosophie einer breiten Portfoliodiversifikation sowie einer hohen Granularität als sehr hilfreich erwiesen. Im Interview geht Dr. Tobias Dichtl auf die aktuellen Entwicklung im europäischen Immobilienmarkt ein.
Halbzeit in 2021Immobilienmarkt Europa
Aufgrund der Pandemie hat sich das globale Transaktionsvolumen besonders im Jahr 2020 reduziert. Dieser Trend setzte sich zum Teil auch noch Anfang 2021 fort. Die folgenden Abbildungen verdeutlichen die Auswirkungen der Pandemie auf die Transaktionsvolumina in den verschiedenen Regionen.
Abb. 1: Verhaltener Jahresstart im Q1 2021 in allen drei Weltregionen
Geringe Marktaktivität erschwert Identifikation von Preistrends
Die Marktaktivität ist in Folge der Pandemie im Jahresverlauf 2020 spürbar eingebrochen und hat sich auch im ersten Quartal 2021 nicht erholt. Die hohe Unsicherheit im wirtschaftlichen Ausblick sowie die Reisebeschränkungen bremsen den Transaktionsmarkt weiter aus. Mit einem Transaktionsvolumen von rd. 53 Mrd. Eurowurde das Ergebnis aus dem ersten Quartal 2020 um 32% verpasst. Während die Nachfrage nach Wohninvestments ungebrochen ist (+36%) und sich Logistikinvestments vergleichsweise stabil zeigen (-7%), zeigten sich Investoren bei Büro-, Einzelhandels- und Hotelobjekten (-60%) sehr zurückhaltend. Mit Ausnahme weniger kleiner Märkte lagen alle Immobilienmärkte im Q1 2021 deutlich im Minus. Die jüngsten Ergebnisse von Investorenbefragungen und die angekündigten Lockerungen von Reisebeschränkungen lassen in den kommenden Monaten eine spürbare Belebung des Marktes erwarten. Mit sinkender Unsicherheit im Ausblick ist auch eine Annäherung der Preisvorstellungen zwischen Käufern und Verkäufern zu erwarten.
Die Preise zeigen sich vor dem Hintergrund der Pandemie weitestgehend stabil, wobei die geringe Marktaktivität die Identifikation klarer Trends erschwert. Der RCA CPPI-Index sieht die meisten europäischen Märkte im Vergleich zum Vorjahr teils deutlich im Plus. Hier ist aber ein klarer Bias zu Sektoren mit hoher Marktaktivität zu vermuten, so dass die Preisentwicklung nur bedingt für Bestandsobjekte herangezogen werden kann. Die Renditen verharrten jedoch in weiten Teilen auf ihren historisch niedrigen Niveaus, die von den weiterhin niedrigen Renditeniveaus bei Staatsanleihen stabilisiert werden. Negative Entwicklungen sind insbesondere im Einzelhandel (v.a. Einkaufszentren) zu beobachten, wo die Renditen zuletzt spürbar gestiegen sind. In den kommenden Monaten ist zu erwarten, dass Risiken auf Objektebene stärker eingepreist werden und somit eine sehr heterogene Entwicklung zu beobachten ist. Im Marktdurchschnitt ist zu erwarten, dass die anhaltend niedrigen Renditen sowie die Erholung der Vermietungs-märkte die Preisentwicklung unterstützen werden.

Abb. 1: Globale Perspektive – Marktaktivität und Preisentwicklung
Strukturelle Veränderungen werden Büro- und Einzelhandelsmarkt belasten
Die Flächennachfrage auf dem Büromarkt hat sich auch im Q1 2021 nicht erholt und bleibt wie in den Vorquartalen auf einem sehr niedrigen Niveau, da viele Unternehmen Anmietungen weiterhin verschieben. In den meisten europäischen Büromärkten bewegen sich die Leerstandsquoten (v.a. in zentralen Lagen) auf einem niedrigen Niveau, so dass die Gefahr für spürbare Korrekturen der Mietpreise überschaubar ist. In Folge der weiterhin hohen Bautätigkeit, die in 2021 einen zyklischen Höhepunkt erreicht, sowie weiterer Untermietflächen ist in den kommenden Quartalen mit weiteren Leerstandsanstiegen zu rechnen. Dies kann sich negativ auf die Wiedervermietungschancen von Büroflächen auswirken und zu höheren Incentives führen. Im Ausblick ist mit einer Erholung der Flächennachfrage im Zuge der wirtschaftlichen Erholung zu rechnen, die zunehmende Nutzung des Home Office wird einen strukturellen Gegenwind bieten und die Nachfrage dämpfen. Hier ist mit regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu rechnen, die in der Investmentstrategie berücksichtigt werden müssen.
Der Einbruch der Einzelhandelsumsätze durch die Lockdown-Maßnahmen hat viele Einzelhändler weiter unter Druck gesetzt und die strukturellen Herausforderungen der Branche weiter verstärkt. Während sich der Lebensmitteleinzelhandel auch in der Pandemie stabil zeigte und der Ausblick unverändert stabil bleibt, stehen High Street-Standorte und Einkaufszentren spürbar unter Druck. Zahlreiche namhafte Mieter haben bereits Insolvenz angemeldet oder eine Konsolidierung ihrer Filialnetze angekündigt, was zu steigenden Leerständen und sinkenden Mieten führen wird. Immobilieneigentümer sehen sich in diesem Umfeld bei sinkenden Mieteinnahmen mit einem steigenden CapEx-Bedarf konfrontiert. Dies wird sich bei Ankäufen in entsprechenden Preisabschlägen widerspiegeln. Für die Erholungsphase ist eine zunehmende Polarisierung zu erwarten. Während die Top-Lagen der Großstädte weiterhin für viele Einzelhändler ein wichtiges Aushängeschild bleiben, werden schwächere Lagen mit einer stark rückläufigen Nachfrage konfrontiert. Hier müssen in Zukunft in vielen Fällen neue Konzepte gefunden und umgesetzt werden.
Logistik- und Wohnungsmarkt profitieren von anhaltend hoher Investorennachfrage
Der europäische Logistikmarkt zeigt sich sowohl mit Blick auf den Investment- als auch den Vermietungsmarkt sehr stabil. Der E-Commerce, als wichtiger Nachfragetreiber der vergangenen Jahre, ist einer der großen Gewinner der Pandemie. In allen europäischen Märkten stiegen die Umsätze in diesem Segment sprunghaft an, was entsprechenden Flächenbedarf mit sich bringt. Auch die Nachfrage aus industrienahen Branchen zeigte sich weitgehend stabil, da geringes Wachstum durch eine höhere Lagerhaltung in Teilen kompensiert werden konnte. Die hohe Nachfrage trifft insbesondere in gefragten Lagen auf ein stark limitierte Flächenangebot, was zu einem dynamischen Mietwachstum führt. Aktuelle Prognosen rechnen in den kommenden Jahren mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung, da eine deutliche Ausweitung des Flächenangebots aufgrund der Grundstücksknappheit nicht zu erwarten ist. Die Renditen bieten trotz Rückgängen in den vergangenen Jahren weiterhin einen Spread zu Büroobjekten, der sich in den kommenden Jahren weiter einengen könnte.
Der Mietwohnungsmarkt in Europa unterstrich in der Pandemie seine Bedeutung als konjunkturunabhängiger Portfoliobaustein mit hohen Mietzahlungs- und konstanten Vermietungsquoten. Die Investorennachfrage ist in der Folge weiter gestiegen, da viele Investoren Wohninvestments neu in die Portfolios aufnehmen möchten bzw. die bestehenden Quoten ausweiten wollen. Dies führt zu einer weiteren Renditekompression in allen europäischen Märkten mit Spitzenrenditen von unter 3%. Mit Blick auf die fundamentalen Rahmenbedingungen (wie das Wachstum der urbanen Bevölkerung) bieten alle europäischen Märkte weitere Wachstumspotenziale. Insbesondere „neue“ Märkte mit bislang begrenzter institutioneller Investorennachfrage bieten weiterhin Renditeprämien sowie Mietwachstumspotenziale, die attraktiv erscheinen. Eine weitere Diversifikation des Portfolios außerhalb von Deutschland ist somit zu empfehlen. Länderspezifische Rahmenbedingungen (u.a. Mietpreisregulierung) müssen hierbei im Detail analysiert und in der Strategie reflektiert werden.
„Nischen“-Strategien rücken für viele Investoren weiter in den Fokus
Der Hotelmarkt sah sich in Folge der Lockdown-Maßnahmen mit einem Einbruch der Nachfrage konfrontiert, der viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellte. Staatliche Hilfsmaßnahmen und Pachtstundungen konnten eine größere Insolvenzwelle bislang verhindern, jedoch bleibt abzuwarten, wie sich der Sektor in den kommenden Monaten entwickeln wird. Auf dem Investmentmarkt fiel die Aktivität auf ein sehr niedriges Niveau, sodass die Preisentwicklung derzeit kaum zu beurteilen ist. Der hohe Anteil langfristiger Investoren, die in den vergangenen Jahren Hotels erworben haben, wird den Markt voraussichtlich stabilisieren. Die Markterholung wird langsam und mit regionalen Unterschieden verlaufen. Während für Märkte mit einem Fokus auf (inländische) Urlaubsreisen eine zeitnahe Erholung möglich erscheint, ist für Business-/Messe-Standorte mit einer sehr langsamen Erholung zu rechnen. Für den Gesamtmarkt wird derzeit nicht vor 2024/2025 mit einer Rückkehr auf das Vor-Krisen-Niveau gerechnet.
Der hohe Anlagedruck sowie die Unsicherheit in traditionellen Sektoren treibt Investoren weiter in kleinere „Nischen“ des Immobilienmarktes. Schwerpunkt der aktuellen Nachfrage liegt auf dem Bereich der Gesundheits- und Pflegeimmobilien, die von demographischen Megatrends sowie einer vergleichsweise geringen Konjunkturabhängigkeit profitieren. Aufgrund des in Teilen hohen Regulierungsgrads des Sektors hat sich eine sehr heterogene Marktstruktur in Europa entwickelt, die von regionalen/lokalen Marktteilnehmern geprägt wird. Aufgrund des positiven Ausblicks sowie der Renditeprämien ist eine Allokation in dieser Nische zu empfehlen.
Data Center sind eine weitere Nische, die zuletzt ein steigendes Interesse verzeichnen konnte. Die Assetklasse bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Immobilien, Infrastruktur und Private Equity. Daher ist eine intensive Prüfung des Rendite-Risiko-Profils der unterschiedlichen Investmentstrategien in dieser Assetklasse notwendig.

Abb. 3: Ende der Lockdowns kann zu Erholung in den Risikosektoren führen